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Schwankende Stimmung bei vielen Anlegern: Die Börse als Spiegel der Wirklichkeit

Inflation, Krieg und Pandemie beschäftigen derzeit viele Menschen und berühren natürlich auch die Kapitalmärkte. Aber warum reagieren manche Investoren hektischer und kurzfristiger als andere?

 

Wolff Seitz 14.04.2022 4 Min Lesezeit

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Börse ist ein Spiegel der Wirklichkeit: Als vor gut zwei Jahren die Corona-Pandemie in unser Leben trat, ließ das die Kapitalmärkte nicht unberührt. Aktien von Pharmaunternehmen und Streamingdiensten stiegen – Fluggesellschaften und Hotelketten verloren hingegen in Folge der Beschränkungen.

Die spätestens seit Ende Januar nicht mehr zu leugnende Verstetigung der Inflation ließ Bankaktien steigen, da diese von den in der Folge erwarteten steigenden Zinsen profitieren sollten. Unternehmen mit hohen Wachstumsraten, die eben selbiges Wachstum auf Pump finanzieren, waren hingegen nicht mehr so gefragt und sanken. Selbstredend haben seitdem die Kurse verzinslicher Wertpapiere auch den Rückwärtsgang eingelegt.

Und der Überfall der russischen Armee auf die Ukraine hat Titel der Ölindustrie und der Rüstungshersteller steigen lassen – auch das eine nachvollziehbare Reaktion, denn fossile Energieträger drohen knapper zu werden und die Aufrüstung der westlichen Welt wird sich beschleunigen.

Nicht immer ist Panik der Grund für fallende Märkte

Selbst wenn diese Rotation zwischen den Branchen rational anmutet, ist die Börse mitnichten ununterbrochen ein von Logik und Sachlichkeit durchzogener Marktplatz. Denn Kauf- und Verkaufsentscheidungen werden von Menschen getroffen, die sich nicht von Emotionen wie Angst oder Euphorie freimachen können – sogar wenn sie dieser Tätigkeit beruflich nachgehen.

Immer wenn bislang Unbekanntes oder zumindest Unerwartetes in den Alltag einbricht, legen deshalb einige Börsianer ein Verhalten an den Tag, das im Volksmund mit den Worten „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ oder in Ausnahmesituationen mit „Rette sich, wer kann“ umschrieben wird. Dabei ist es häufig gar nicht Angst, was die Akteure auf der Verkäuferseite antreibt – es können auch buchhalterische Zwänge sein.

Ein Beispiel: Eine Bank, die jährlich am 31.12. Bilanz ziehen muss, hat zu Beginn des Geschäftsjahres errechnet, dass sie sich aus Börsenhandelsgeschäften maximal einen Verlust von fünf Prozent ihres Umlaufvermögens leisten kann. Bis zu dieser Höhe sieht sie sich in der Lage, einen Verlust durch Gewinne in anderen Geschäftsbereichen auszugleichen.

Institutionelle Anleger unterliegen häufig Zwängen

Anhand dieses festgelegten Risikobudgets und einschlägiger Annahmen, was der Aktienmarkt im schlimmsten Fall wird verlieren können, legt die Handelsabteilung der Bank ihre Aktienquote regelmäßig neu fest. So weiß sie sich auf der sichereren Seite und ist nicht zu übereilten Reaktionen gezwungen.

Wenn dann aber die Aktienmärkte entgegen ihrer Annahmen deutlich stärker verlieren als angenommen, muss die Bank handeln. Das heißt in der Regel, sich von Aktien zu trennen, bevor diese noch stärker fallen. Dabei ist diese Bank nicht allein: Weltweit handeln hunderte, wenn nicht tausende institutionelle Anleger nach diesem oder ähnlichen Prinzipien – und das in Geschwindigkeiten von nur wenigen Tagen, Stunden oder Minuten.

Während also der in der Regel langfristig orientierte private Anleger noch rätselt, was da gerade passiert ist und ob diese Entwicklung von Dauer sein wird, ziehen sich von den „Großen“ immer mehr aus dem Kapitalmarkt zurück, bis sich die Lage beruhigt hat. Dann schauen sie, ob von dem zu Beginn des Jahres festgelegten Risikobudget noch etwas übrig ist. Wenn ja, steigt das jeweilige Institut wieder in den Markt ein – wenn nicht, bleibt es für den Rest des Jahres an der Außenlinie stehen, auch wenn die Kurse wieder steigen.

Die Kurse steigen wieder – auch wenn die Krise noch anhält

Spätestens jetzt sind es die privaten Anleger, die sich bestätigt sehen dürfen, dass sie an ihren Kapitalanlagen festgehalten und ihren Emotionen nicht nachgegeben haben. Eben hatten sie noch den Eindruck, zu spät reagiert zu haben – und nur wenige Monate oder gar Wochen später scheint der Markt die Nachrichten neu bewertet und seinen langfristigen, wirtschaftlich begründeten Optimismus wiedergefunden zu haben.

Das passiert häufig bereits dann, wenn die eigentliche Krise – die Pandemie, Inflation oder gar Krieg – noch gar nicht vorüber ist und ggf. immer noch Menschen ihr Leben verlieren. In diesen Momenten erscheinen die Reaktionen und Überlegungen von Kapitalmarktteilnehmern so manchem Außenstehenden menschenverachtend zu sein: Wer kann im Angesicht von so viel Leid daran denken, sein eigenes Vermögen zu mehren? Wie kann man gar gezielt Aktien von Rüstungsunternehmen oder Nahrungsmittelherstellern kaufen?

Festhalten an den eigenen Kapitalanlagen

Die Fragen kann man stellen. Genauso wie es gerechtfertigt ist zu hinterfragen, ob wir noch in den Urlaub fahren oder laut Musik hören dürfen, wenn im Osten Europas Männer, Frauen und Kinder ermordet werden.

Ich für mich antworte hier mit einem „Ja“. Denn auch, wenn wir unser Leben weiterleben (dürfen), schließt das nicht aus, dass wir mit diesen Menschen fühlen. Und wer während seines Urlaubs die eigene Wohnung der örtlichen Gemeinde zur zeitweisen Unterbringung geflüchteter Ukrainerinnen und Ukrainer überlässt oder durch die tägliche Musik den Schwung für das Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe gewinnt, dem wünsche ich sogar, dass er sich das ganze Jahr über Urlaub leisten kann und von seinen Nachbarn die Toleranz erfährt, den Morgen mit 80 Dezibel begrüßen zu dürfen.

Genauso sollten wir auch unsere Kapitalanlagen weiterverfolgen. Denn wer weiß: Je vermögender wir uns fühlen, desto leichter trennen wir uns vielleicht auch von Teilen unseres Geldes und spenden es denen, die es nötiger haben als wir. Deshalb freut es mich sehr, dass meine eigene Arbeitgeberin die Spenden ihrer Belegschaft für die Ukraine verdoppeln wird – genauso, wie sie es zuletzt anlässlich der Flutkatastrophe im Ahrtal getan hat.

Nicht nur vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihnen langfristig weiterhin die notwendige Gelassenheit und viel Erfolg mit Ihrer Kapitalanlage.

Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg,
Ihr Wolff Seitz

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